RAHMENVISIONEN

Kanada 2017: Tag 16 – Ein Abenteuer (1/2)

Um 7:00 Uhr klingelte der Wecker. Wir hatten gestern mit Victor, unserem Kontaktmann vor Ort, ausgemacht, dass wir uns um 9 Uhr in Campbell River treffen. Sein Boot liegt dort im Hafen und mit dem wollte er uns auf eine kleine Spritztour mitnehmen. Neben uns sollten dann noch 2 weitere Gäste an Bord sein. Wir waren gespannt.

Um kurz nach 8 Uhr fuhren wir los. Als Treffpunkt hatten wir den örtlichen Starbucks ausgemacht. Perfekt, um nochmal kurz vor Tourstart den Koffeinhaushalt auf Stand zu bringen. Das Kaffee-Schnellrestaurant lag Mitten in einem hafennahen Gewerbegebiet. Der Parkplatz war leer und auch drinnen war noch gähnende Leere. Von Victor & Co war noch nichts zu sehen, dabei war es schon 9 Uhr. Wir entschlossen uns, draußen zu warten. Nebst Kaffee gibt’s bei Starbucks noch eine wichtige Kleinigkeit: kostenloses WLAN. Ich hatte mich gerade erfolgreich eingeloggt, da bekam ich auch schon die erste Nachricht zugestellt….

Victor: „Seid ihr schon da?“
Ich: „Ja, wir warten draußen auf euch.“
Victor: „Wir sitzen schon drinnen.“

Ähm, Moment mal. Da waren wir doch gerade und niemand außer
uns war in dem Laden zu sehen, erst recht keine kleine Gruppe.

Ich: „Also wir sind am Starbucks. Und du?“
Victor: „Ich auch. Direkt am Hafen.“
Oh oh. Nochmal ein kurzer Blick in Google Maps: BINGO!
Der Klassiker, es gab 2 Starbucks in dem kleinen Hafenstädtchen. Keine 800m weiter, direkt am Yachthafen gab es einen weiteren. Also nichts wie rein ins Auto, kurz den Motor angeschmissen, losgefahren und wieder ausrollen lassen, dann waren wir am richtigen Treffpunkt. Wir hatten Victor noch nie gesehen. OK, ich vielleicht mal ein Foto von ihm auf Facebook, mehr nicht. Würde ich ihn auf Anhieb erkennen? Ich ging rein, Dani wartete draußen. Entgegen unserer ersten Anlaufstelle war dieser Laden hier ziemlich gut besucht. Aber ich entdeckte die 3 Mann bzw. 2 Mann und eine Frau sofort. Sie saßen an einem kleinen Tisch ziemlich nah am Eingang, direkt am Fenster. Nach einem herzlichen Hallo (Victor kann trotz seinem bereits jahrzehntelangen Aufenthalt in Kanada seine sprachlichen Schwyzerdütsch-Wurzeln nicht verheimlichen) packten die drei auch schon ihre Sachen und wir gingen zusammen nach draußen. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde mit Dani stiegen wir wieder ins Auto und fuhren Victor hinterher zu einem großen Schotterparkplatz am Hafen.

Am Eingang zum Pier hielt Victor kurz an und entlud schon mal alle Sachen, die er mit auf’s Boot nehmen wollte. Da kam einiges zum Vorschein aus seinem PickUp. Kühlbox, Angel, diverse Kisten, Paddel und noch einiges mehr. Dann suchte sich jeder einen Parkplatz und alle packten fleissig mit an, um die aufgehäuften Utensilien zum Boot zu bringen. Das lag ziemlich am Ende eines langen Docks und es war wirklich groß genug für vier Personen. Sogar in der Kabine wo Victor das Steuer in der Hand hatte fanden wir alle Platz. Nachdem alles verstaut und vorbereitet war, ging es auch schon los. Dani und ich nahmen draußen Platz, so dass uns der Wind um die Nase wehte. Hinten bei uns saß auch die 2. Frau an Bord, sie hieß Anne. Eine sympatische Frau mittleren Alters, die mit eine großen Canon Spiegelreflexkamera bewaffnet war. Sie hatte schon den ein oder anderen Ausflug mit Victor unternommen und wusste also, was uns so alles vor die Linse kommen könnte. Bei Victor vorne in der Kabine saß noch Raphael. Ein junger Kerl, der wie Victor aus der Schweiz kam und jetzt in Kanada eine Jobgelegenheit bekam, um als Käsemacher den Kandadier in diesem Metier etwas auf die Sprünge zu helfen.

Vom Hafen in Campbell River aus fuhren wir schnurstracks in die Inlets, die schmalen Meeresarme und Buchten, die zwischen Vancouver Island und dem kanadischen Festland liegen. Trotz gefühlt rasanter Fahrt zog die Landschaft in Zeitlupe an uns vorbei. Wir konnten so alle Eindrücke in uns aufsaugen und hoffentlich nie mehr vergessen. Ein paar Fotos würden uns helfen die Erinnerungen, wenn nötig, aufzufrischen.

Dann nahm Victor etwas Fahrt raus. Wir näherten uns einer Steilküste mit einer kleinen Bucht an deren Ende ein Wasserfall ins Meer rauschte. Wie idyllisch. Victor steuerte das Boot vorsichtig vor den Felsen entlang, so dass wir ein paar Fotos vom Boot aus schießen konnten.

„So, ich lass euch jetzt hier raus. Dann könnt ihr da oben hoch und etwas weiter gibt’s nen schönen See. Ich fahre mit Anne ne Runde rum und hol euch dann in einer Stunde hier wieder ab.“
Äh, wie jetzt?? Der Mann aus dem Internet, denn wir erst gut eine Stunde persönlich kannten, wollte uns jetzt mitten in der kanadischen Wildnis mit einem bis vorhin auch noch unbekannten jungen Mann aussetzen und dann mit seinem Schiff abhauen?? Komisches Gefühl irgendwie… Aber wir sind ja Gott sei Dank nicht so verkopft als dass uns jetzt zig Szenen aus irgendwelchen Abenteuer- oder Horrorfilmen vor dem inneren Augen abgelaufen wären. Victor ließ uns also zusammen mit Raphael an einem Bootsteg aussteigen und legte dann sofort wieder ab. Es war trotzdem ein komisches Gefühl in der Magengegend. Das war aber auch schnell verflogen nachdem wir die ersten Meter den Hügel hinaufgekraxelt waren. Oben angekommen bot sich uns ein fantastischer Ausblick auf den nahen Wasserfall in der einen und die offene Bucht in der anderen Richtung. Das Boot von Victor war noch gut zu erkennen aber es wurde kleiner und kleiner. Er würde sicherlich wie versprochen wiederkommen… bestimmt.

Auf schmalen Pfaden ging es noch ein Stück weiter ins Hinterland. An einer Engstelle half ein im Felsen befestigtes Seil weiter, um nicht einen kleine Abhang hinunterzurutschen. Dann mussten wir noch an einer großen Stufe hochklettern und wenige Meter später lag er vor uns, der versprochene See. Welch Idylle. Ganz alleine in der kanadischen Natur, umgeben von Bergen an diesem wundervoll türkisfarbenen See. Unsere Badesachen hatten wir nicht dabei, das Wasser war aber auch nicht wirklich einladend warm. Unser Begleiter war da anders gestrickt. Er ließ es sich nicht nehmen, eine Runde in dem wirklich kühlen Naß zu drehen. Wir fühlten uns in der Beobachterrolle wohler und genossen den Moment. Und dann war es plötzlich vorbei mit der Ruhe. Hinter uns hörten wir Stimmen. Eine kanadische Familie mit 3 Kindern bahnte sich den Weg zu unserem See. Wie konnte das denn passieren? Hier in dem allerletzten Winkel. Naja, so geheim schien der Geheimtipp dann doch nicht gewesen sein. Aber wer weiß wofür es gut war, falls Victor es sich doch anders überlegt hätte, wäre eine Rückkehr in die Zivilisation also durchaus möglich geworden, per Anhalter.
Die Kinder mussten sich auf jeden Fall nicht zweimal bitten lassen, um ausgelassen von den Felskanten ins Wasser zu springen.

Eher wir uns versahen, war unsere Freistunde auch schon fast wieder um. Raphael hatte sich inzwischen wieder in seine Klamotten geworfen und so konnten wir den gesammelten Rückzug antreten. Wir machten einen letzten Fotostopp an der Klippe mit der schönen Aussicht und wenig später konnten wir beruhigt durchatmen: Victor rauschte heran. Wir stiegen den kleinen Abhang hinunter zum Anleger. Mit 1.000 tollen Eindrücken im Gepäck gingen wir zurück an Bord und erwarteten mit Spannung, was uns der Tag noch so alles bringen würde. Bis dahin, Comox!

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