Heute war das Motto „Früher Vogel“. Aber nicht, um die auf dem Campground sicher zahlreich vorhanden Regenwürmer zu fangen, sondern um zeitig die längere Fahrt nach Waterton in Angriff zu nehmen. Unser Guide Andreas hatte ja gestern den Vorschlag gemacht, über Banff direkt bis nach Waterton durchzufahren, um endlich dem Regen und den dicken grauen Wolken zu entfliehen. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und somit hatten wir heute knapp 480km vor der Brust und mussten dafür, inkl. der ein oder anderen Pause, sicherlich 6-7 Stunden Fahrtzeit einkalkulieren.
Um 8:30h war Abfahrt… bei leichtem Regen… natürlich. Rauf auf den Highway 1 Richtung Calgary. Schon nach ca. 1 Stunde Fahrtzeit glaubten wir an die versprochene Wetterbesserung. Der Regen hörte auf und es kamen wirklich erste blaue Fleckchen zwischen den grauen Wolken zum Vorschein. Vorbei an Banff und Canmore bogen wir nach ca. 130km auf den Highway 40 ab, der direkt nach Kananaskis Country hineinführt. Die Kananaskis bietet eine ländliche Idylle weitab von „Touri-Hochburgen“ wie zB Banff und seinem gleichnamigen Nationalpark. Nur wenige Minuten später legten wir gegen 10 Uhr die erste Pause am Barrier Lake ein. Bei Sonnenschein! Tür auf…raus. Wow! Windig hier. Egal. Der Ausblick war herrlich.
Dann ging’s weiter. Die nächsten Kilometer wurden in Angriff genommen und wir bekamen endlich ein traumhaftes Panorama geboten. Hin und wieder drückte der Wind aber mächtig gegen das Mobil. War schon merklich bei so einer großen Angriffsfläche. Erneut ca. 130km später hatten wir die Kananaskis durchquert und erreichten den kleinen Ort Longview. Gegen 12 Uhr fielen wir mit allen Campern auf der örtlichen Tankstelle ein. Es dauert ca. 30 Minuten bis alle Tanks wieder voll waren. Wenige Kilometer weiter erreichten wir die „Bar U Ranch“. Eine sogenannte „Nationale historische Stätte Kanadas“. Es handelt sich um eine alte Ranch, die heute als lebendes Museum dient. Alle alten Einrichtungen können besichtigt und angefasst werden. Es gibt auch eine englischsprache Führung, die man während einer Kutschfahrt über das Gelände bekommt. Wir entschieden uns gegen die Kutsche und stattdessen für ein paar Schritte zu Fuß. So kamen wir auch in den Genuss einer Tasse Kaffee, die uns von einem Ranch-Mitarbeiter in einer alten Wohnküche angeboten wurde. Am Ende der Tour gab’s noch ein kurzes Mittagessen im angeschlossenen Bistro.
Um 15h setzte sich der Camper-Tross wieder in Bewegung und durchquerte auf den nächsten Kilometern die Prärie Albertas. Abseits der Rockies gibt es hier riesige Felder und alles ist von Landwirtschaft geprägt. 2 Stunden später erreichten wir den Waterton Lakes Nationalpark und wenig später auch Waterton. Kurz vor der Einfahrt zum Campground bekamen wir zu sehen, was diese Stadt u.a. besonders macht. In den Gärten der Häuser tummelten sich Rehe. Völlig frei und unbehelligt liefen sie überall herum und grasten in den Vorgärten oder sogar auf dem Spielplatz.
Nachdem wir unseren Platz auf dem Campground gefunden hatten, entschlossen wir uns zu einem kleinen Stadtbummel und es dauert nur kurz, bis uns die ersten Rehe unmittelbar vor die Füße liefen. Welch ein Schauspiel.
Neben absolut dringenden Besorgung im Liqour-Store genehmigten wir uns ein Riesen-Eis in einem tollen Süßigkeiten-Geschäft. Über den Preis für dieses süße Vergnügen hüllen wir hier mal lieber die Outdoor-Jacke des Schweigens. Aber Fakt ist: Es war saulecker!
Um 20h war heute Grillen im Shelter angesagt. Ohne Schutz ging hier auch gar nichts, denn der Wind blies unverändert heftig und würde uns ansonsten das Fleisch vom Grill pusten. In der Hütte waren wir aber gut geschützt und auch mein Fleisch lernte endlich was es heißt, richtig gebraten zu werden, nachdem ich von unserem Guide Andreas eine neue Alu-Grillschale ohne Löcher bekam. Mein Modell mit Löchern hatte ich erfolgreich mit einer Zwischenlage Alufolie gleichzeitig gegen Auslaufen geschützt und gegen Hitzeentwicklung isoliert. So wurde mein Fleisch minutenlang nur gekocht und nicht gebraten.
Es war schon dunkel um uns herum als plötzlich ein Wagen neben unserem Shelter hielt. Eine Frau versuchte uns etwas zu sagen. Der Wind brauste. Ich hörte beim zweiten Mal genauer hin: „Hey! Watch out, there’s a bear behind your shelter!“. BITTE!? Ein Bär!? Hier hinter unserer Hütte!? Ich schaute zu Andreas. Er hatte noch nichts mitbekommen. Der Sturm trägt die Frauenstimme einfach fort. Aber er war der Mann mit Bärenspray und jetzt wäre wohl der richtige Zeitpunkt es griffbereit zu haben. Andreas reagierte auf meinen Zuruf sofort und beorderte alle Teilnehmer zur Sicherheit in den Shelter. Mit dem Bärenspray bewaffnet stellte er sich schützend an den Rand der Hütte. Sekunden später war er zu sehen. Ein Schwarzbär lief an uns vorbei. Alle waren hin und hergerissen zwischen Respekt, Angst und Neugier. Es war nur ein kleiner Bär, ein Jungtier und zudem völlig verängstigt angesichts unserer großen Menschenansammlung. Er war noch einmal recht deutlich im Licht des Waschhauses erkennbar, danach verschwand er in die Dunkelheit. Die größte Gefahr bestand nun noch darin, dass er nicht alleine unterwegs war und gleich Mama-Bär um’s Eck kommen würde. Aber das passierte Gott sei Dank nicht. Puh! Welch‘ Aufregung am späten Abend. Das Gesprächsthema für die nächsten Stunden war gesichert. Fotos gibt es leider keine…
Wir hielten es noch eine ganze Weile im Shelter aus. Nette Gespräche in großer Runde, den wärmenden Ofen im Rücken und das kanadische Bier in der Hand ließen die Zeit wie im Flug vergehen. Aber irgendwann musste auch für den heutigen Tag (wobei der morgige schon lange angebrochen war) das Ende eingeläutet werden. Mit einem leicht mulmigen Gefühl und den Stirnlampen im Anschlag schlichen wir durch die Dunkelheit zurück zu unserem Camper. Der Wind blies unaufhörlich und ließ überall Äste knacken und Blätter rascheln. Wir leuchteten mit unseren Lampen in jeden Winkel in der bangen Hoffnung, dass dort jetzt bitte kein Bär steht. Da! 4 Augen erleuchteten im Licht meiner Stirnlampe. Oh Gott! Wir erstarrten kurz. Die angeleuchteten Augen ebenfalls. Es waren 2 Rehe, die zwischen den Campern standen und uns angesichts der Blendung nun auch wie paralysiert anstarrten. Man ey! Musstet ihr uns so erschrecken!? Die letzten Meter gingen wir schneller bis wir schließlich den vermeintlich sicheren Camper erreichten. Genug Aufregung für heute. Gute Nacht, Waterton!